Falk Wiesemann
Judaica bavarica
Neue Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern
"Siehe, der Stein schreit aus der Mauer ..."
Zur Jahreswende 1988/89 wurde in Nürnberg als gemeinsame Anstrengung des Germanischen Nationalmuseums und des Hauses der Bayerischen Geschichte die große Ausstellung "Siehe, der Stein schreit aus der Mauer. Geschichte und Kultur der Juden in Bayern" gezeigt. Es war der bislang erste Versuch, dieses Thema aus kulturhistorischer Perspektive gründlich und umfassend anzugehen. Die Präsentation einer beeindruckenden Fülle qualitätsvoller und aussagekräftiger Objekte wurde ergänzt durch historiographische, didaktische und museologische Spezialuntersuchungen und Begleitmaterialien. Für die Vorbereitungsarbeiten der Ausstellung konnte seinerzeit auch eine bibliographische Zusammenstellung zur Geschichte der Juden in Bayern genutzt werden, die dann 1989 als erster Band der vom Salomon Ludwig Steinheim-Institut herausgegebenen "Bibliographien zur deutsch-jüdischen Geschichte" im Münchener K.G. Saur Verlag erschien, jedoch bald vergriffen war.(1)
Die seit den frühen 1980er Jahren allenthalben einsetzende Hinwendung zur jüdischen Lokal- und Regionalgeschichte in Deutschland hat nicht zuletzt durch das öffentliche Gedenken an die fünfzigste Wiederkehr des Jahrestags des Novemberpogroms einen kräftigen Schub erhalten. Seitdem hat das Thema "Geschichte der Juden in ..." Konjunktur, in Bayern ebenso wie anderswo. Sternstunden waren die Auffindung hebräischer Grabsteine aus dem Mittelalter in der Würzburger Pleich oder die Grabungen im mittelalterlichen jüdischen Wohnviertel in Regensburg mit sensationellen Ergebnissen. Vielerorts wurden Forschungsarbeiten mit öffentlichen Mitteln gefördert. Die universitäre Forschung an den bayerischen Hochschulen widmete sich verstärkt Themen der jüdischen Geschichte vor Ort oder in der Region. An der Universität Augsburg konzentrierte man sich - initiiert durch die Arbeiten von Rolf Kießling und Susanne Ullmann - auf die lange Zeit marginalisierte jüdische Regionalgeschichte der Frühen Neuzeit. Einen weiteren Kristallisationskern bildeten die wissenschaftlichen Tagungen der Schwabenakademie in Irsee zur schwäbisch-jüdischen Geschichte, organisiert von der Heimatpflege des Bezirks Schwaben unter Leitung von Peter Fassl. Doris Pfister erstellte dazu eine ausführliche archivalische und bibliographische Dokumentation für Schwaben.(2) Auch andernorts fand die Erforschung der jüdischen Regionalgeschichte gesteigerte Aufmerksamkeit. Erwähnt seien hier nur die Tagungen des Fränkische Schweiz-Museums in Tüchersfeld (Rainer Hofmann) oder die Forschungsprojekte zur Geschichte der Juden in Oberfranken an der Universität Bamberg (bearbeitet vor allem durch Eva Groiss-Lau). Das Interesse an jüdischer Lokal- und Regionalgeschichte hat auch in vielen Forschungsprojekten zur Dokumentation jüdischer Friedhöfe und einzelner Synagogen seinen Niederschlag gefunden. Zahlreiche Gedenk- und Dokumentationsstätten wurden seither errichtet - häufig im Zusammenhang mit der Restaurierung ehemaliger Synagogengebäude. In Fürth/ Schnaittach, Augsburg und München entstanden Museen zur jüdischen Geschichte.
Der große Aufschwung, den das Thema seit dem Erscheinen der "Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern" von 1989 genommen hat, brachte eine Fülle von Publikationen hervor, die es gerechtfertigt erscheinen läßt, nach nahezu zwei Dekaden erneut eine bibliographische Bilanz zu ziehen, die in ähnlicher Weise weiterführende Arbeiten befördern möge. Die hier vorgelegte "Neue Bibliographie" unterscheidet sich von der früheren grundlegend. Waren in der Bibliographie von 1989 lediglich rund 3.000 Titel verzeichnet, so umfaßt die "Neue Bibliographie" mehr als 12.500. Zu den alten Titeln kommen etwa ebenso viele Neuerscheinungen (seit 1988) hinzu, ferner eine Reihe von neurecherchierten älteren Einträgen. Substantiell erweitert wurde die Bibliographie durch die Aufnahme von einschlägigen Artikeln der deutschjüdischen Presse vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Verbot im Jahr 1938. Anhand der bisher nicht systematisch ausgewerteten Informationen der Zeitschriften und Zeitungen kann das Bild der bayerisch-jüdischen Geschichte nun wesentlich detailreicher konturiert werden. Insbesondere wurden im Abschnitt 4 aufgeführte Periodika intensiv durchgearbeitet. Die Kriterien für die Aufnahme eines Zeitungsartikels sind freilich - dies sei eingestanden - subjektiv, - eine Totalbibliographie wurde nicht angestrebt. Gegenüber der Bibliographie von 1989 wurde das Prinzip der alphabetischen Auflistung aufgegeben zugunsten einer innerhalb der Sachkapitel strikt chronologischen Reihung, wodurch nunmehr die historische Forschungsentwicklung des jeweiligen Teilbereichs deutlicher faßbar wird. Außerdem finden sich in der "Neuen Bibliographie" in Form von Annotationen erweiterte Hinweise auf den konkreten Inhalt eines Titels. Im Verlauf der Recherchen für die "Neue Bibliographie" wurde dem Bearbeiter zunehmend bewußt, wie viele Bereiche der bayerisch-jüdischen Geschichte immer noch weitgehend unerforscht sind: zum Beispiel die Situation der jüdischen Studierenden in Bayern, das jüdische Stiftungs- und Vereinswesen oder, um nur noch einen weiteren Aspekt zu nennen, die Biographien einzelner bayerischer Rabbiner ebenso wie das Rabbinatswesen in Bayern insgesamt. Um die Forschung zusätzlich voranzubringen, wäre allerdings eine dieser Bibliographie vergleichbare umfassende Erschließung des Archivguts in Bayern wünschenswert. (...)
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(1) Falk Wiesemann; Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern, München/London/ New York/Paris 1989.
(2) Doris Pfister (Bearbeiterin), Dokumentation zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. Hg.: Peter Fassl, Augsburg 1993.
(Auszug aus der Einleitung, ebd., S. 11-12)