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Kolonialismus als "Wissenschaft und Technik"

Kolonialismus und Wissenschaft waren um 1900 auf vielfältige Weise miteinander verflochten. Die Kolonialmächte suchten dabei nach Wegen, ihren Herrschaftsanspruch wissenschaftlich zu legitimieren und die Methoden der Machtausübung zu rationalisieren.
Zu den deutschen Institutionen für koloniale Forschung und Beamtenausbildung gehörte das 1908 eröffnete Hamburgische Kolonialinstitut, das 1919 in der neu gegründeten Universität aufging. Obwohl es umfassende Kompetenzen besaß und namhafte Wissenschaftler beschäftigte, ist seine Position im Kontext der deutschen Kolonialpolitik bislang nicht eingehend untersucht worden. An diesem Beispiel durchleuchtet die Studie aus kolonial- und universitätshistorischer Perspektive die Praxis von Kolonialwissenschaften und Kolonialausbildung im Kaiserreich.

Einleitung

Studien zum Verhältnis von Kolonialismus und Wissenschaft haben Konjunktur. In den letzten Jahren sind zahlreiche kolonialhistorische Monografien, Sammelbände und Einzel­beiträge erschienen, die sich mit den Geschichten von Forschungsreisenden, akademischen Disziplinen oder wissenschaftlichen Institutionen befassen. Eines der jüngsten Beispiele ist ein von Benedikt Stuchtey herausgegebener Sammelband des Deutschen Historischen In­stituts in London. Er spannt einen europäischen Rahmen und verdeutlicht eindrucksvoll, wie groß die Bandbreite der möglichen Fragestellungen in thernatischer, räumlicher und zeitlicher Hinsicht ist.(1) In seiner gehaltvollen Einleitung konstatiert Stuchtey ein zuneh­mendes Interesse von britischen, französischen und deutschen Historikern an "colonial science".(2) Es seien insbesondere die Beziehungen zwischen wissenschaftlichen Institutio­nen, wie ethnologischen und naturkundlichen Museen, Zoologischen Gärten, Universitäten und gelehrten Gesellschaften, die zur raschen Verbreitung der "colonial idea" beigetragen hätten. Diese koloniale Wissenschaftslandschaft habe eine bedeutende Rolle bei der Legi­timation europäischer Herrschaftsansprüche und ihrer Popularisierung gespielt.(3)

Dabei sind die Wechselwirkungen zwischen Kolonialismus Lind Wissenschaft nicht erst eine Entwicklung des späten 19. Jahrhunderts. Die Akkumulation von Wissen über die au­ßereuropäische Welt ist ein Strukturmerkmal der europäischen Expansion seit ihren An­fängen im 15. Jahrhundert. Gleichwohl ist dieses Verhältnis an der Wende vom ersten zum zweiten Entdeckungszeitalter in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von einer zunch­menden wissenschaftlichen Differenzierung gekennzeichnet.(4) Irn 19. Jahrhundert schließ­lich griffen europäische Forschungsreisende und Abenteurer vermehrt auf den bis dahin noch weitgehend unbekannten afrikanischen Kontinent aus. Meistens hegten sie dabei ne­ben wissenschaftlicher Neugier auch koloniale Ambitionen.(5) Die Verselbstündigung kolo­nialer Wissenschaftszweige und ihre Institutionalisierung um 1900 stellten einen Ent­wicklungsschritt dar, der den Begriff "Kolonialwissenschaften" unter Zeitgenossen ge­bräuchlich machte. Freilich existierte zu keiner Zeit eine Kolonialwissenschaft als eigen­ständige Disziplin, und bezeichnenderweise wurde der Begriff je nach Kontext im Singular oder im Plural verwandt. Das gilt auch für die moderne Forschungsliteratur, wobei die vorliegende Arbeit keine Ausnahme darstellen wird. Ganze Wissenschaften waren niemals kolonial. Aber Teilgebiete oder die Anwendung allgemeiner Verfahrensweisen auf koloniale Fragestellungen wurden als Kolonialwissenschaften oder koloniale Wissenschaften bezeichnet. Während Fachgebiete wie die Tropenmedizin oder die Tropenbotanik aufgrund ihrer zumeist endemischen Untersuchungsgegenstände relativ deutliche Umrisse besaßen, verliefen die Grenzen zwischen Kolonialgeographie und allgemeiner Geographie schon weit weniger klar. Im Falle der Kolonialgeschichte war eine separate Behandlung nahezu ausgeschlossen, zumal sie im Zeitalter des Imperialismus erst recht aus einer rein europäischen Perspektive verstanden wurde. Von Honold und Simons auf den Punkt gebracht: "Es gibt nicht die koloniale Wissenschaft, aber Verfertigungsweisen von Wissen unter der Bedingung des Kolonialismus und seinem ideologischen Nährboden." (6) (...)

Diese Arbeit versucht eine Forschungslücke zu füllen, die sich zwischen früheren Untersuchungen mit Schwerpunkt auf der Hamburger Universitätsgeschichte oder auf der Geschichte der Kolonialpolitik befindet. Sie befasst sich mit der Frage, inwieweit das Hamburgische Kolonialinstitut seinen Aufgaben der Ausbildung von Kolonialbeamten und der kolonialwissenschaftlichen Grundlagenforschung gerecht geworden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Institution als Prestigeobjekt sowohl des Reichskolonialamts als auch der Hamburger Oberschulbehörde gelten kann. Aus dieser doppelten Inanspruchnahme ergeben sich unterschiedliche Einflüsse. Am wichtigsten scheinen die Konkurrenzsituation mit anderen Einrichtungen für Kolonialausbildung und Kolonialwissenschaften, die hamburgische Universitätsdiskussion und die Kolonialinteressen von Professoren und Kaufleuten in der Handestadt. Diese Konfliktlinien sollen die Überprüfung des kolonialen Anspruchs des Instituts flankieren.

(Einleitung, ebd., S. 9-10, 17)