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Review VI

Re-take of Amrita ...

Die Fülle an wertvollen  Photodokumenten bildet ein Familienalbum,  mit dem sich seit einigen Jahren  Vivan Sundaram (geb. 1943), Enkel von Umrao Singh Sher-Gil, Neffe von Amrita Sher-Gil und Sohn von Indira  befasst und diese aus der Sicht eines Familienhistorikers und Archivars aufarbeitet.
Buchansicht / Tafel 17: Vivan Sundaram, Paris Café (Pariser Café), 2001; 48 x 32 cm, digitale Photomontage. Aus der Serie Re-take of Amrita. Sammlung des Künstlers (Amrita mit Kommilitonen der Kunstakademie, Paris 1932, Unbekannter Photograph; Spanisches Mädchen, Detail, 1933, von Amrita Sher-Gil ) - Copyright Vivan Sundaram
Buchansicht / Tafel 17: Vivan Sundaram, Paris Café (Pariser Café), 2001; 48 x 32 cm, digitale Photomontage. Aus der Serie Re-take of Amrita. Sammlung des Künstlers (Amrita mit Kommilitonen der Kunstakademie, Paris 1932, Unbekannter Photograph; Spanisches Mädchen, Detail, 1933, von Amrita Sher-Gil ) - Copyright Vivan Sundaram

 

Er studierte Malerei an der Faculty of Fine Arts der MS University in Baroda und absolvierte Mitte der siebziger Jahre bei R. B. Kitaj an der Slade School in London ein Aufbaustudium. Sein Interesse galt insbesondere auch der Filmgeschichte. Er war Anhänger der Studentenbewegung vom Mai 1968, beteiligte sich aktiv an den antiimperialistischen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und war Mitbegründer einer Kommune, die radikale Künstler und Aktivistengruppen aufnahm. 1970 kehrte Vivan Sundaram nach Indien zrück, wo er in den siebziger und achtziger Jahren als engagierter Künster und Kurator mehrere nationale und internationale Workshops in Baroda, Kasauli und Delhi organisierte sowie richtungsweisende  Ausstellungen konzipierte, an denen er sich auch selbst beteiligte. (S.158)

Die digital bearbeitete Photoserie: Re-take of Amrita (2001 - 2002) bildet einen wesentlichen Höhepunkt in dieser faszinierenden Begegnung mit einer indischen Künstlerfamilie im 20. Jahrhundert. Amrita tritt als Objekt der Betrachtung nun vollständig in den Vordergrund.

Deepak Ananth enthüllt eine vollständig neue Sichtweise:

"Ein solches Objekt war sie von jeher, selbst auf den nicht manipulierten Originalaufnahmen. Doch durch den Kunstgriff des digitalen Eingriffs kann sie nun in die Gesellschaft ebenjener Personen gestellt werden, für die sie ursprünglich posierte. Der weibliche Narzismus, der in Umrao Singhs Aufnahmen seiner Tochter zutage trat, wird nun mit dem männlichen Narzißmus verbunden, den die zahllosen Selbstportraits des Photographen offenbaren - eine Doppelung, die die strukturelle Kondition des Narzißmus selbst dubliziert. Es sind spektrale Verdopplungen mit Verweisen auf das Thema des Doppelgängers einerseits und die surrealistische Photographie andererseits." (S.31)

Vivan Sundaram - anfänglich als Maler tätig - wandte sich ab Mitte der achtziger Jahre zusehends den Mixed Media und Installationen zu. Dies entsprach seinem intensiven Wunsch, jene Beschränkungen überwinden zu können, die der Rahmen einem Bildfeld naturgemäß auferlegt. (S.31)

Deepak Ananth hingegen spricht von der "tödlichen stasis":

"Was der Inszenierung im Falle der Photographie ihre besondere Qualität verleiht, ist natürlich die tödliche  stasis: das uns vertraute und doch ständig neu entdeckte Wissen von der Sterblichkeit, die jedes photographische Bildnis der Lebenden durchdringt. Die vielzitierte Melancholie des Photographierens ist also dem geschuldet, was wir aus der Vergangenheit machen und wie wir sie betrachten." (S. 31)

Vivan Sundaram bereichert unsere Betrachtungen um eine neue Perspektive. Es handelt sich  zwangsläufig um die "eines Heutigen". Gleiches gilt für die von ihm verwandten Mittel, die digitale Bearbeitung, "die eine (postmoderne) Version der Montage ermöglicht, doch angewandt in einem Geist, der das kritische, entfremdende Potential dieser ehrwürdigen Technik der Moderne nicht mißachtet." (S.31/32)

Deepak Ananth erkennt darin den Rückgriff auf einen "klugen kinematographischen Einsatz" von Photoshop-Techniken, so etwa die Überlagerungen, das Verschwimmen, die Verdopplungen, die auf innere Störungen hinweisen und in Vivans  Re-take of Amrita  angedeutet werden.

Diese Rekonfiguration des Familienalbums führt zu einer  Neubelebung der Vergangenheit, die in Umrao Singhs unzähligen Photographien für alle Ewigkeiten festgehalten schien und mündet insofern in eine besondere Dialektik.

Deepak Ananth beobachtet äußerst scharfsinnig und liefert dem Betrachter eine mögliche Sicht auf Amrita Sher-Gils Schaffen: Vivan Sundaram verortet Amrita Sher-Gil an einer "Schwelle".

"Das heißt, der liminale Punkt ist jener, an dem der "verzögerte" Modernismus, als deren Vertreter Sher-Gils Werk einst hätte gelten können,  als ein partielles und provinzielles Verständnis von Moderne insgesamt entlarvt wird." (S.32).

Vivan Sundaram erföffnet mit seinem Re-take of Amrita  eine vollständig neue Perspektive. Deepak Ananth  erkennt in dieser Einstellung eine denkbare Antwort: Das Oeuvre Amrita Sher Gils - so unvollständig es geblieben sein mag -  gehört letztlich eindeutig der Gegenwart an.

27.11.2006

 

Ulrike-Christiane Lintz