Dialektik der postkolonialen Hybridität
Der koloniale Diskurs stellte zur Versöhnung des kollektiven
okzidentalen Bewußtseins mit sich selbst den
Legitimationsrahmen für die politischen Untaten des
Kolonialismus bereit. Trotz heterogener Aussageformen, Themen
und Begriffe ist dieser Diskurs einem System stereotyper
Inferiorisierung des Fremden verpflichtet, das über historische
und geopolitische Unterschiede triumphiert und daher bis in die
Gegenwart nichts von seiner perfiden Kraft eingebüßt hat.
Literatur ist zwar nachweislich integraler Bestandteil
desselben, impliziert aber vermöge ihrer Ästhetik auch die
Chance, den kolonialen Diskurs in seinem System zu überwinden.
Im Nachvollzug einer solchen Überwindung soll der mit diesem
Buch beabsichtigte spezifisch literaturwissenschaftliche
Beitrag zur Kulturwissenschaft bestehen.
"Im Rekurs auf Ansätze der Hermeneutik, Ergebnisse der
Kritischen Theorie, des französischen Poststrukturalismus, der
internationalen Postmodernetheorie und der
Postkolonialismus-Debatte entwickelt Jochen Dubiel die Theorie
des postkolonialen Blicks auf überzeugende Weise weiter."
Paul Michael Lützeler
Jochen Dubiel
Aus der Kritik
(...) Für den Literaturwissenschaftler, der sich mit dem Komplex der Postkolonialität mithilfe ihrer literarischen Mediatisierung auseinandersetzt, ergeben sich folglich zwei zentrale Aufgaben: zum einen muss er die spezifischen Strategien untersuchen, mit denen die Literatur sich der Aporie der Fremddarstellung nähert und dabei die eigene Partizipation am kolonialen Diskurs reflektiert. Zum zweiten muss angesichts der dadurch entstehenden kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Literaturwissenschaft ihr Standort neu bestimmt werden. Beiden Aufgaben ist ein Dilemma zu eigen, dem sich die Dissertation zu stellen versucht: wie kann die Literatur das Fremde abbilden, wenn doch jede Form der Repräsentation immer auch die Vereinnahmung des Dargestellten bedeutet? Und wie kann der spezifisch literarische Zugang zum kulturwissenschaftlichen Problemfeld des Postkolonialismus geleistet werden, ohne dabei in Abhängigkeit von Nachbarwissenschaften wie Geschichte und Politologie zu geraten? Die der postkolonialen Theorie entgegengebrachten Einwände werden dabei zum methodologischen Ausgangspunkt, begründen sowohl die Notwendigkeit einer dialektisch-kritischen Selbstreflexivität wie auch die einer poetologischen Programmatik. Jochen Dubiel beschreibt Auswege aus den beschriebenen Dilemmata, indem er sie tatsächlich als Auftrag versteht: so wird der Literaturwissenschaftler zum "Botschafter seiner Disziplin", der die in der Literatur angesiedelten Mechanismen ästhetischer Brechung herausarbeitet, die in ihrer hybriden Mehrdeutigkeit schließlich zur Überwindung des kolonialen Blicks führen.
Annika Nickenig in "literaturkritik.de" (April 2007)