Ein Gebiet - Viele Sprachen
Bei den erwähnten Handschriften handelt es sich vor allem um religiöses Schrifttum des Buddhismus, des Manichäismus und des östlichen, nestorianischen Christentums. Aber auch Kanzleidokumente, private Schreiben, militärische Sendschreiben, Gedichte, Wegebeschreibungen und Warenlisten finden sich darunter. In diesen Quellen dokumentieren sich schlaglichtartig selbstverständlich Ethnien mit ihren jeweiligen Sprachen, aber in wechselnden Schriftsystemen.
Dabei müssen allein schon drei grundsätzliche Spracharten unterschieden werden, nämlich Umgangssprache einer Oase oder eines größeren Gebietes, die jeweils zu einer Zeit herrschende Verwaltungs- und Kanzleisprache sowie verschiedene, nach Religionen zu unterscheidende Sakralsprachen. Spätestens um Christi Geburt ist über das nordwestliche Indien, über die hohen Pässe des Karakorum-Gebirges und über Kaschmir der Buddhismus in das Tarim-Becken vermittelt worden. Handschriften dieser Frühphase sind auf Harosthi oder Brahmi geschrieben, die Sprache wechselt aber zwischen Hotansakisch, einer mitteliranischen Sprache, Gandhari und Sanskrit.Der Manichäismus, als weiteres Beispiel, verwendet Parthisch in mitteliranischer Schrift, das nestorianische Christentum die ostsyrische Sprache in syrischer Schrift, dem Estrangelo. Die tocharischen Bewohner der Staaten von Kuqa und Karashahr im Norden der Seidenstraße verwendeten im 5. – 7. Jh. n. Chr. die Brahmi-Schrift Indiens in einer Variante zur Wiedergabe ihrer indogermanischen Kentumsprache in zwei Varianten. Das Sprach- und Schriftproblem verkompliziert sich zusätzlich, weil die im 4.-5. Jh. n. Chr. zumindest den Westen des Tarim-Beckens beherrschenden und aus dem östlichen Mittelasien stammenden Hephtaliten („Weiße Hunnen") eine ostiranische Sprache verwendeten, die sie mit einer Schrift darstellten, welche aus dem griechischen Alphabet entwickelt worden war. Die sogdische Schrift, welche aus dem Aramäischen hervorging, wurde im 6.-7. Jh. n. Chr. erstmals zur Aufzeichnung alttürkischer Sprache bei den Ost- und Westtürken verwendet.
(ibid., S. 58-59)