"Ayryana Vaejo"
Im zweiten vorchristlichen Jahrtausend, während das Reich Elam bei Babylon eine Zivilisation entwickelte, gaben indoeuropäische Eroberer der iranischen Hochebene, die sie besiedelten, ihren Namen. Das Wort »Iran« stammt von »Ayryana Vaejo«, was »Ursprung der Arier« heißt. Es waren halbnomadische Völker, die Vorfahren der Meder und Perser.
Der Iran war reich. Wegen seines Reichtums und seiner strategischen Lage wurde er ständig erobert: Von Alexander dem Großen, von den arabischen Nachbarn, von türkischen und mongolischen Herrschern. So wurde das Land häufig von fremden Mächten dominiert. Aber die persische Sprache und Kultur widerstanden den Invasionen. Die Eroberer passten sich dieser gehobenen Kultur an und wurden selbst zu Iranern.
Im zwanzigsten Jahrhundert brach für den Iran eine neue Ära an. Reza Schah beschloss, das Land zu modernisieren und den westlichen Industrienationen anzupassen. Unterdessen war eine neue Quelle des Wohlstandes entdeckt worden: Erdöl. Und mit dem Öl kam eine neue Form der Eroberung. Der Westen, insbesondere Großbritannien, übte einen starken Einfluss auf die iranische Wirtschaft aus. Während des Zweiten Weltkrieges drängten die Briten, Sowjets und Amerikaner Reza Schah dazu, sich den Alliierten anzuschließen. Dieser aber sympathisierte mit Deutschland und erklärte den Iran zur neutralen Zone. Die Alliierten marschierten ein und besetzten das Land. Der Schah wurde ins Exil geschickt. Nachfolger wurde sein Sohn, Mohammed Reza Pahlavi, den man ganz einfach den Schah nannte.Im Jahre 1951 nationalisierte der damalige Premierminister Mohammed Mossadeq die Ölindustrie. Als Antwort darauf verhängten die Briten ein Embargo gegen iranisches Erdöl. Zwei Jahre später organisierte der CIA zusammen mit dem britischen Geheimdienst einen Staatsstreich. Mossadeq wurde gestürzt und der Schah, der zuvor geflohen war, kam wieder an die Macht. Seine Herrschaft dauerte bis 1979, dann musste er vor der islamischen Revolution fliehen.
Seither wird diese traditionsreiche Zivilisation fast ausschließlich mit Fundamentalismus, Fanatismus und Terrorismus in Verbindung gebracht. Als Iranerin, die mehr als ihr halbes Leben im Iran verbracht hat, weiß ich, dass dieses Bild falsch ist. Darum war es so wichtig für mich, »Persepolis« zu schreiben. Ich glaube, dass man eine ganze Nation nicht aufgrund der Fehler einer extremistischen Minderheit verurteilen darf. Ich will auch nicht, dass jene Iranerinnen und Iraner vergessen werden, die für die Freiheit gekämpft haben und im Gefängnis gestorben sind, die ihr Leben im Krieg gegen den Irak verloren und unter den verschiedenen repressiven Systemen gelitten haben, oder gezwungen waren zu fliehen.
Man kann vergeben, aber man soll niemals vergessen.
Marjane Satrapi
Paris, September 2002
(Vorwort, ibid, S. 3-4)