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Rechtsgeschichte

Die Rechtsgeschichte gliedert sich traditionell in zahlreiche Einzelfächer, wobei der Einteilung in Römisches und Deutsches Recht besondere Bedeutung zukommt. Diese Trennung scheint derzeit in Rückbildung begriffen zu sein. Das aus der Lehrpraxis entstandene Buch trägt dieser Entwicklung Rechnung.
Behandelt werden die antiken römischen Grundlagen, Grundzüge des germanischen und des deutschen Rechts seit dem Mittelalter ebenso wie Rezeption des römischen Rechts und Humanismus bis hin zu den modernen Kodifikationen. Ein Kapitel zum Nationalsozialismus und zu den Rechtsbildungen nach 1945 sowie zur Rechtsentwicklung in der DDR und der Bundesrepublik runden den Band ab.

EINLEITUNG

Die Rechtsgeschichte ist traditionell in zahlreiche Einzelfächer gegliedert, wobei der Einteilung in Romanistik und Germanistik besondere Bedeutung zukommt. Diese Einteilung stammt aus dem 19. Jahrhundert und scheint derzeit in Rückbildung begriffen zu sein. Für eine zuverlässige Prognose über die künftige Entwicklung mag es noch zu früh sein, doch mehren sich die Anzeichen, die auf eine eher unspezifische Widmung des Faches als Rechtsgeschichte hindeuten. Es steigt die Anzahl juristischer Fakultäten, an denen nur noch ein Lehrstuhl für Rechtsgeschichte eingerichtet ist. Die Romanistik scheint die große Verliererin der aktuellen Reformbestrebungen zu sein. Wie schon einmal in der Zeit von 1933-1945 droht das vielleicht glänzendste und international am meisten angesehene Feld rechtshistorischer und juristischer Gelehrsamkeit in Deutschland an den Rand gedrängt zu werden.

I. Wo anfangen?

Die Idee zu diesem Buch entstand an einem Fachbereich, wo Rechtsgeschichte jenseits der traditionellen Einteilung in Römisches und Deutsches Recht unterrichtet wird. Ist das Stoffgebiet nicht auf ein bestimmtes Herkunftsland oder auf eine bestimmte Epoche festgelegt, so stellt sich die Frage: Wo anfangen? Den Ausgangspunkt der vorliegenden Darstellung soll das römische Rech bilden. Wenn es dafür eine Rechtfertigung gibt, so liegt sie in der geschichtlichen Tatsache der Rezeption des römischen Rechts. Wie Goethes Faust ohne Helena kaum zu verstehen ist und Brecht nicht ohne die Bibel, setzt auch die Darstellung moderner Rechtsentwicklungen gewisse Kenntnisse der antiken Grundlagen voraus. Dies sei an zwei Beispielen erläutert.

Das erste betrifft den Einfluß des römischen Rechts auf die modernen Kodifikationen. Vom BGB hat man bekanntlich gesagt, es sei ein in Paragraphen gegossenes Pandektenlehrbuch (S. 319 ff.) Und auch die anderen Privatrechtsgesetzbücher Europas sind romanistische Kodifikationen. Daß das BGB deutsch, der Code Civil französisch, das Wetboek niederländisch, der Código civil spanisch oder der Codice civile italienisch spricht, spielt im Vergleich zur gemeinsamen Tradition nur eine untergeordnete Rolle. Über Ge­setzgebung nimmt ein mehr als zweitausend Jahre altes Recht also noch heute Einfluß auf die Rechtsordnung. Um diese „seltsame Erscheinung" (Jhering) angemessen würdigen zu können, bedarf es zu­nächst einer Vorstellung von der überlegenen Methode und der ver­feinerten Begriffstechnik, die römische Juristen entwickelt haben. Man muß aber auch wissen, daß Methode und Begriffstechnik einer bestimmten Verfassungsordnung entsprungen sind, deren Kern die römische Idee von Freiheit (libertas) bildet. Diese hat sich in der römischen Republik entwickelt, „die selbst noch Historikern der Moderne als Vorbild einer freiheitlichen Ordnung erschienen ist" (Bleicken). Es ist daher kein Zufall, daß die 1945 und 1989 zusam­mengebrochenen Systeme das römische Recht - mit zum Teil unter­schiedlichen Begründungen - jeweils auszuschalten suchten. In einer Zeit, in der viele die Abenteuer der großen Ideologien im 20. Jahr­hundert schon für beendet halten, verdient diese Tatsache besondere Hervorhebung.

Das zweite Beispiel ist spezieller und handelt von dem Satz pacta sunt servanda. Der Satz ist im Mittelalter aufgekommen und bis heute anerkannt. Seine historischen Voraussetzungen stoßen aus Gründen, auf die noch zurückzukommen ist, derzeit wieder auf gesteigertes Interesse (S. 410). Juristische Laien pflegen anzuneh­men, den Schlüssel zum Verständnis biete schon die schlichte Übersetzung: „Verträge muß man halten". Ebensowenig läßt die Erläuterung der Ursprünge im kanonischen Recht des Mittelalters (S. 144) ermessen, warum der Satz einst eine Revolution bedeutete, deren Auswirkungen noch heute spürbar sind. Man muß wissen, daß das römische Vertragsrecht auf einem numerus clausus von klagbaren Vertragstypen beruht, wonach bloße pacta keine Rechts­verbindlichkeit entfalten (S. 58). Ohne Kenntnis der romanistischen Grundlagen bleibt unverständlich, warum auf Basis von pacta sunt servanda in Europa über die Jahrhunderte hinweg ein einheitliches Vertragsrecht wachsen konnte, das derzeit wieder auf dem Prüf­stand steht (S. 410).

Was wir als Anfänge wahrzunehmen glauben, „sind schon ganz späte Stadien" (Jacob Burckhardt). Rom steht am Ende der Antike und die Menschheit hat bereits vor Griechenland, Israel oder Ägyp­ten Tausende von Jahren erlebt, die von den altsteinzeitlichen Jäger- ­und Sammlergesellschaften über Viehzucht und Ackerbau im Neo­lithikum bis zu den ersten schriftlichen Quellen reichen. Die Lehre der „Rechtsgeschichte" kann weder „vollständig" sein noch eine „objektive" Auswahl treffen. Die vorliegende Darstellung will ei­nen ersten Zugang zum Fach und zur Welt des positiven Rechts eröffnen. Dazu gehört auch die Entdeckung, daß Vergangenheit keine Vorgeschichte der Gegenwart, sondern ein eigenständiges und zu­gleich fremdes Gebiet ist. Das altrömische Recht gestattet es, unter Stichworten wie „strukturelle Mündlichkeit", „Form", „Ge­walt", „Rache", „Selbsthilfe" oder „Einschaltung von Dritten" Merkmale archaischer Rechtskulturen exemplarisch zu behandeln (z.B. S. 29, 33, 116, 120). Vom jüngeren römischen Recht der Klas­sik oder Spätantike führen dagegen viele Linien zur Moderne. Diese Linien verlaufen aber nicht auf direktem Wege, oft sind sie ver­schlungen oder nur schwach ausgeprägt, sie können auch ganz abbrechen oder sich verlieren, um später an unvermuteter Stelle wie­der aufzutauchen.

 Mit dem integralen Konzept des vorliegenden Überblicks soll also dem Bedürfnis nach einer Kurzdarstellung entsprochen wer­den, die auch dem antiken Recht einen Platz zuweist. Die Stoff­auswahl in den ersten vier Kapiteln über römisches Recht erfolgt mit Blick auf Entwicklungen und Begriffsbildungen, die über das Mittelalter hinaus bis in die Neuzeit oder Gegenwart reichen. Dies ermöglicht es, Vorgänge von langer Dauer (long durée) gegenüber Zäsuren schärfer zu akzentuieren. Insgesamt folgt die Darstellung sowohl chronologischen wie systematischen Gesichtspunkten. Wo das chronologische Schema Gefahr läuft, zur bloßen Aufzählung von Ereignissen zu werden, treten systematische Gesichtspunkte in den Vordergrund. So wird zum Beispiel der juristische Humanis­mus (S. 191) im Anschluß an das Kapitel über die Renaissance der Rechtswissenschaft in Bologna behandelt, obwohl die nachfolgend erörterten rechtlichen Strukturen des Feudalsystems (S. 205) schon viel früher entstanden sind. Bisweilen werden einzelne Stoffgebiete vom chronologischen Ende her vorgestellt, um mehr Hier und Jetzt in die Lehre der Rechtsgeschichte zu bringen. Dies erscheint vor allem dann gerechtfertigt, wenn bestimmte, bereits überwunden geglaubte Merkmale früher Rechtskulturen in der Gegenwart wieder in Erscheinung treten. Als Beispiele seien die um die Ge­meinsamkeiten von Schadensersatz und Strafe (punitive damages), von Schuld- und Familienrecht oder die um Verschuldens- versus Erfolgshaftung geführten Debatten genannt. Im übrigen war beab­sichtigt, die in der Vorlesung bewährte Darstellung der Abfolge des Geschehens so weit als möglich zu erhalten.

Nachfolgend sei noch ein Überblick über die wichtigsten Sta­tionen der Darstellung gegeben (...)

 

(Auszug aus der Einleitung, ebd., S.1-4)

 

Böhlau Verlag / UTB Rechtsgeschichte  

 

Böhlau Verlag
Das didaktisch gut aufbereitete und eingeführte Studienbuch liegt jetzt in einer dritten überarbeiteten und ergänzten Auflage vor. Es eignet sich vorlesungsbegleitend für Studierende der Rechtswissenschaft und dürfte darüber hinaus für Historiker von großem Gewinn sein.